
Psychotherapie in Justizanstalten
In diesem Artikel erzähle ich von der wöchentlichen Reise in die JA Korneuburg. Um den Zug nicht zu versäumen, verbringe ich meine Mittagspause jeden Mittwoch Kebab essend am Bahnhof Wien Mitte. Viele Menschen und Eindrücke lassen mich dann erst im Zug innerlich zur Ruhe kommen. Während Häuser und Landschaften an mir vorbeiziehen, versinke ich immer mehr in Gedanken an die vier Klienten, denen ich begegnen werde. Die Fahrtzeit verfliegt wie im Nu.
Vom Bahnhof in die JA kann ich schon das helle Gebäude mit vergitterten Fenstern und einer Mauer mit Stacheldraht erkennen. Ich läute an der Eingangstür und muss mich via Gegensprechanlage mit „Ich bin der Therapeut“ zu erkennen geben, bevor ich das Foyer mit dem Wachzimmer betrete, wo ich jedes Mal meinen Impfstatus vorweisen muss, bevor ich meine Gegenstände in einem Schließfach verwahre. Danach geht es durch eine Sicherheitsschleuse, wo ich auf harte Gegenstände durchleuchtet werde. Dann wird mir noch mittels eines Fiebermessautomaten die Temperatur gemessen.
Wegen Corona findet die Psychotherapie nicht in dem dafür vorgesehenen Therapiezimmer statt, sondern in einem Verhörraum. Dorthin gelange ich über die Besucherzone, wo ich mich abermals in einem anderen Wachzimmer mit „Ich bin der Therapeut“ zu erkennen gebe. Die Beamt_innen dort wirken informierter, haben eine Liste mit den Klienten, die ich sehen werde, und fragen mich: „Wen sollen wir als Ersten vorführen, haben Sie eine Präferenz?“. Danach geht es ins Verhörzimmer. Der gesamte Weg vom Eingang bis ins Verhörzimmer ist durch kahle, lange Gänge gekennzeichnet, die eine kalte, unnahbare Atmosphäre vermitteln. Auch das Wording ist für mich manchmal sehr fremd, etwa wenn „Vorführung“ gesagt wird.
An die Therapie im Verhörzimmer habe ich mich mittlerweile gewöhnt, auch wenn ich lieber im Therapiezimmer wäre, wo es keine Glaswand zwischen mir und den Klienten gibt. Da es ein kleiner Raum und sonst niemand anwesend ist, kann doch eine gewisse Vertrautheit entstehen. Durch die Glaswand ist es auch möglich, die Stunden ohne Maske abzuhalten. Für eine Therapie also nicht ideal, aber gut machbar und mir persönlich angenehmer als eine Online–Therapie.
Das Verlassen des Gebäudes fühlt sich für mich dann sehr befreiend an. Die langen, kahlen Gänge wieder zurückgehend, hoffe ich, dass noch jemand im ersten Wachzimmer ist, der/die mich dann auch wieder rauslässt. Diese Befürchtung, dort selbst eingesperrt zu sein, mag aus einer tiefenpsychologischen Sicht von verborgenen, unbewussten Ängsten herrühren, andererseits ist es mir tatsächlich passiert, dass die Wachebeamt_innen bereits weg waren und ich im Foyer einige Minuten eingesperrt war, bis mich schließlich eine Reinigungskraft rauslassen konnte.
Ich hoffe sehr, dass es im Lauf des Jahres wieder möglich sein wird, die Therapiestunden im Therapiezimmer abhalten zu können. Der Weg dorthin fühlt sich gleich an wie ins Verhörzimmer, jedoch hat der Raum dort eine wesentlich angenehmere Atmosphäre, was für psychotherapeutisches Arbeiten schon von Vorteil wäre.
Der Verein Dialog konnte sein Angebot erweitern: Psychotherapie in Justizanstalten (JA), ein Angebot, um Insass_innen bereits während der Haftzeit die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit ihren jeweiligen Problemlagen, unter besonderer Berücksichtigung ihrer Suchtproblematik, zu gewähren.

Wolfgang Hartinger, Dialog Mobil (DIM)